Tiwanaku war einst das religiöse und politische Zentrum eines Reiches, das vom 4. bis zum 11. Jahrhundert große Teile des heutigen Bolivien, Peru und Chile umfasste. Die Stadt lag auf 3.850 Metern Höhe – ein unwirtlicher Ort mit extremen Temperaturschwankungen. Dennoch schufen die Tiwanaku eine florierende Zivilisation mit fortschrittlicher Landwirtschaft, einem ausgeklügelten Bewässerungssystem und beeindruckenden Steinbauten. Ein Besuch dieser Ruinen führt nicht nur in eine untergegangene Welt, sondern auch zu Mythen und ungelösten Fragen der Anden-Geschichte.
Das Herz von Tiwanaku: Die Tempelanlagen
Die Ruinen von Tiwanaku bestehen aus mehreren monumentalen Strukturen, von denen einige besonders hervorstechen:
- Akapana-Pyramide: Eine siebenstufige, terrassenförmige Pyramide, die vermutlich einst ein religiöses Zentrum war. Heute sind nur noch die Grundmauern erhalten.
- Kalasasaya-Tempel: Ein rechteckiges Areal mit hoch aufragenden Monolithen, das vermutlich für astronomische Beobachtungen genutzt wurde.
- Das Sonnentor: Ein 3 Meter hohes, aus einem einzigen Andesitblock gehauenes Tor mit geheimnisvollen Gravuren – darunter die zentrale Figur des "Wiracocha", des Schöpfergottes der Anden.
- Puma Punku: Eine Anlage mit riesigen, präzise geschnittenen Steinblöcken, deren Bauweise moderne Forscher immer noch vor Rätsel stellt.
Puma Punku – Präzision, die Fragen aufwirft
Besonders faszinierend sind die Ruinen von Puma Punku, die sich etwas außerhalb des Hauptkomplexes befinden. Hier liegen tonnenschwere Steinblöcke, die mit solch exakter Geometrie bearbeitet wurden, dass sie scheinbar fugenlos ineinanderpassen. Einige Forscher vermuten, dass die Tiwanaku eine heute unbekannte Steinbearbeitungstechnik verwendeten. Spekulationen reichen von hochentwickelten Werkzeugen bis hin zu Theorien über verloren gegangenes Wissen präkolumbianischer Ingenieure.
Die Tiwanaku und ihr Untergang
Tiwanaku erreichte seine Blütezeit um das Jahr 800, fiel aber vermutlich im 11. Jahrhundert einem Klimawandel zum Opfer. Anhaltende Dürren ließen die landwirtschaftliche Produktion einbrechen, was zu Hungersnöten und dem Zerfall der Gesellschaft führte. Die Stadt wurde aufgegeben, und bis zur Ankunft der Inka im 15. Jahrhundert geriet Tiwanaku weitgehend in Vergessenheit.
Ein Besuch in Tiwanaku: Praktische Tipps
- Anreise: Von La Paz aus gibt es täglich Busse und Touranbieter, die die 70 Kilometer lange Strecke in etwa 1,5 Stunden zurücklegen.
- Eintritt: Das Ticket für die gesamte Anlage inklusive Museumsbesuch kostet etwa 100 Bolivianos.
- Beste Reisezeit: Die Monate Mai bis September bieten das stabilste Wetter mit klarem Himmel und wenig Regen.
- Wichtige Hinweise: Die Höhe kann anstrengend sein. Langsame Bewegung und ausreichend Wasser helfen, die Höhenkrankheit zu vermeiden.
Mythen und ungelöste Fragen
Bis heute ist vieles über Tiwanaku unklar: Wie gelang es den Menschen, tonnenschwere Steine über weite Strecken zu transportieren? Welche Bedeutung hatten die Gravuren und Stelen? Und war Tiwanaku wirklich die Wiege der Anden-Kulturen? Während Archäologen weiter forschen, bleibt der Ort für Reisende ein faszinierendes Fenster in eine vergessene Welt.